Kommilitonen meines Studiengangs machen ihr Praktikum im Außenministerium, in einer Botschaft, in Vertretungen der Länder in Brüssel, bei FDP-Abgeordneten im Bundestag.
Und ich? Gehe in die SPD-Fraktion des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Oppositionsfraktion in einem kleinen Bundesland.
Und dann? Dann waren da Silke und Katja, Mareike und Birte, Maxi und Heidi und all die anderen. Ich habe schon verschiedene Praktika und Freiwilligendienste gemacht. Ich weiß, dass man wie Luft behandelt wird. Man ist eine unqualifizierte Arbeitskraft, wenn überhaupt. Und meist ist das sicher auch nicht anders möglich, Stress, geregelte Zuständigkeiten und fehlende Kommunikation machen es unmöglich, überhaupt als Zugehörige des Teams überhaupt erkannt zu werden.
Aber hier war das anders.
Zwischen Ausschüssen, Fraktions- und Landtagssitzungen, Fahrten mit dem Paternoster, Pressegesprächen und der Klausurtagung lernte ich, wie Politik funktioniert.
Ich durfte überall dabei sein. Und nicht nur das. Man erklärte mir das auch, räumte mir Zeit ein, wann ich etwas nicht verstand oder etwas ändern wollte. Ich saß viel in Silkes Büro. Sie half mir dabei die Ausschusssitzungen zu verstehen, berichtete mir von ihrer Arbeit und erteilte mir Aufgaben. Nach zwei Wochen Praktikum fand die Klausursitzung statt. Ich durfte dabei sein. Silke holte mich vom Landtag ab, gemeinsam mit ihr und Katja ging es nach Alt Duvenstedt. Trotz der doch recht anstrengenden Klausur kümmerte sich Silke um mich. Bei allen Aktivitäten hatte sie mich im Blick, bezog mich ein, fragte mich und war irgendwie da, ohne, dass ich sie selbst um Hilfe bitten musste.
Vier Wochen lang lebte ich in Laboe, fuhr mit dem Fahrrad die Kieler Förde entlang. Aß abends direkt am Wasser Börek, trödelte entlang der Fahrgeschäfte der Kieler Woche und war jedes Mal, wenn ich zurückkam, glücklich müde. Wenn ich den Möwen beim Muschelknacken zusah, den Sand unter meinem Füßen spürte, den norddeutschen Dialekt um mich herum hörte, fühlte ich mich unglaublich reich. Andere nehmen für sowas Urlaub und für mich war das Alltag. Ich weiß heute wieder, warum der Norden meine Heimat ist. Drei Wochen meines Praktikums absolvierte ich bei Katja, der Referentin für Soziales. Ihr Büro stand fast immer offen. Sie schaute von ihrem Laptop auf, lächelte mich und sagte: Na? Egal wie genervt oder frustriert ich vorher war, ein Gespräch mit ihr half immer.
Schon nach zwei Wochen kannte ich die Namen aller Mitarbeiter*innen und Abgeordneten, ihre Funktionen und Themen. Alle duzten sich, ich wusste am Anfang oft erst die Vornamen und später dann die Nachnamen. Im Büro unterhielt ich mich ganz selbstverständlich mit Alexander Wagner, dem Pressesprecher der SPD Schleswig-Holstein und diskutierte mit Maxi, dem Auszubildenden, über die Auswirkungen in einer Familie des gehobenen Mittelstandes geboren zu sein. Mit Mareike, der Referentin für Wirtschaft, Energie, ländliche Räume und Umwelt, führte ich eine angeregte Debatte zum Thema, welcher Teil von Hamburg schöner sei, West oder Ost. Am Ende schenkte ich ihr eine Tasse mit dem Wappen des schöneren Teils (dem Ostteil natürlich, ist klar). Das allerschönste am Praktikum waren diese Gespräche, mit einem Wahlkreismitarbeiter von Delara Burkhard, mit der Juso-Landesvorsitzenden Maybrit Venzke, die studentische Mitarbeiterin in der Fraktion ist, mit einem Referenten der CDU-Fraktion, mit Abgeordneten.
Mein Bild von Politik und Politikern veränderte sich extrem. Das waren Menschen, die auch nicht alles genau verstanden, die zweifelten, die als Opposition oft machtlos waren und dennoch alles daran setzten, Dinge zu verändern, meist gemeinsam. Jeden Dienstag war Fraktionssitzung. Alle Abgeordneten und auch ein Teil der Mitarbeiter*innen saßen am großen Tisch. Man klärte Fragen, bereitete Sitzungen vor und reflektierte das eigene Verhalten. Für mich war der Inhalt dieser Sitzungen meist eher nebensächlich. Ich strahlte vor mich hin, weil ich diese Menschen sah, weil ich zwischen den Abgeordneten sitzen durfte und das Gesagte einordnen konnte. Ich fühlte mich dort zugehörig. Als Sandra Redmann davon sprach, Kandidatin einer Stiftung zu werden, sagte Thomas Losse-Müller nur „Wir hängen für Dich Plakate auf.“
An einem anderen Tag ging es darum, dass der Ministerpräsident so selten im Landtag spricht. Beate Raudies saß neben mir und murmelte nur „Wie denn auch, er muss ja singen“. Ich fand das schade, dass sie es nicht noch ein wenig lauter sagte.
Viele Abgeordnete beeindruckten mich. Ich absolvierte mein Praktikum bei Katja und Silke und erhielt so einen größeren Einblick in die Arbeit von Birte Pauls. Sie ist mit allen im Gespräch, sie setzt sich ein für ihre Themen, für nationale Minderheiten, für Menschen mit Behinderungen, für eine gute Geburtshilfeversorgung. Ihr Wissen und ihr Engagement scheinen unendlich zu sein. Vor ein paar Tagen hielt ein Abgeordneter der SSW-Fraktion eine Rede. Es ging, glaube ich, um ein Jahr schwarz-grün. Seine Rede war relativ ausufernd, viele Abgeordnete hörten ihm nicht zu. Als er aber das geringe Blindengeld kritisierte, fing Birte an zu klatschen. Menschen mit Behinderungen gehören zu ihrem Fachbereich, aber dass sie auch bei dieser Rede genau zuhörte, finde ich definitiv bemerkenswert.
Aber auch wenn mal keiner da war, wenn ich den Tag allein im Büro verbrachte, war ich nach einiger Zeit zufrieden. Ich schrieb Synopsen und Vermerke zu den unterschiedlichsten Dingen – zur Kindergrundsicherung, zur Mindestlohnrichtlinie, zu Anträgen über Kinderarmut. Zu wissen, dass diese Schriftstücke von anderen verwendet wurden, fand ich großartig. Und wenn ich nicht weiterwusste, rief ich einfach Katja oder Silke an oder kam beim Büro von Katja direkt vorbei. Wenn ich die Tür nach einem Praktikumstag zuschloss, mit dem Paternoster ins Erdgeschoss fuhr, dem Pförtnern beim Abschied kurz zunickte und mich dabei an Mareike orientierte, hatte ich wirklich Feierabend. Ich genoss es zu wissen, dass ich erst morgen weitermachen würde und dass es in Ordnung war. Als Studentin nichts mehr nachts um zwei zu erarbeiten, das ist ein sehr großer Luxus. Auch deshalb genoss ich das Praktikum.
Die wichtigste Erkenntnis des Praktikums ist keine Politische. Meine Wichtigste ist die, dass man Praktikanten mit Respekt behandeln kann, auch, wenn man viel zu tun hat. Dass nicht nur die Praktikumsverantwortliche einen gut behandeln kann, sondern auch alle anderen des Teams.
Vor zwei Wochen beantragte ich endlich die SPD-Mitgliedschaft. Dieses Praktikum gab mir den letzten Stoß, mich selbst politisch einzuordnen.